Hegelianismus

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EINLEITUNG

Hegelianismus, Sammelbezeichnung für zum Teil sehr unterschiedliche philosophische Positionen, die sich in der Tradition der Philosophie Georg Wilhelm Friedrich Hegels und als deren folgerichtige Fortentwicklung verstehen. Zur Bildung einer hegel’schen Schule kam es bereits zu Lebzeiten des Philosophen. Aus dem Kreise seiner Hörer und Schüler ging der Verein von Freunden des Verewigten hervor, der bereits 1845 eine Gesamtausgabe der hegel’schen Schriften herausgab. Hier sind auch jene Teile seines philosophischen Systems enthalten, die Hegel nicht mehr selbst schriftlich hatte ausarbeiten können und für die Vorlesungsmitschriften aus dem Kreis der Freunde des Verewigten herangezogen wurden. Diese Werkausgabe war der Grundstein für die weitere Wirkung Hegels.

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LINKS- UND RECHTSHEGELIANISMUS

Bereits kurze Zeit nach Hegels Tod spaltete sich seine Anhängerschaft in eine so genannte althegelianische und eine so genannte junghegelianische Richtung. David Friedrich Strauß prägte die Begriffe des Rechtshegelianismus für die bewahrend-orthodoxen Althegelianer und des Linkshegelianismus für die sich als kritische Vollender der hegel’schen Philosophie verstehenden Junghegelianer. Weder die Links- noch die Rechtshegelianer bildeten jedoch eine in sich geschlossene philosophische Schule. Der Richtungsstreit zwischen den beiden Grundströmungen konzentrierte sich auf die Rechts- und Staats- sowie auf die Religionsphilosophie. Während Rechtshegelianer in Hegel den Vollender der christlichen Philosophie sahen und diese zur Grundlage einer hegelianischen Theologie machen wollten, interpretierten ihn Linkshegelianer bezüglich der Gottesfrage als Pantheisten oder reklamierten ihn als Kronzeugen eines philosophisch begründeten Atheismus. Der prominenteste Vertreter der Atheismus-These war Ludwig Feuerbach (Das Wesen des Christenthums, 1841). In der Rechts- und Staatsphilosophie war es z. B. Karl Marx, der sich auf Hegel berief und dessen Hegelinterpretation großen Einfluss auf die historisch-materialistische Geschichtsauffassung und die revolutionären Ideen des Marxismus-Leninismus hatte. Marx und andere Linkshegelianer lasen Hegel als Aufforderung, das Vernünftige wirklich werden zu lassen, letzten Endes also für das Vernünftige die bestehenden Verhältnisse aktiv zu verändern. Die Vertreter des Rechtshegelianismus standen dagegen – ebenfalls unter Berufung auf die dialektische Rechts-, Staats- und Geschichtsphilosophie ihres Vorbilds – auf der Seite der bestehenden Rechtsordnung und entwickelten konservative bis liberale Staatsmodelle.

Auch innerhalb der links- bzw. rechtshegelianischen Strömungen gab es zum Teil erhebliche Unterschiede und Anfeindungen. Nicht nur im Althegelianismus zeigte sich ein breites Spektrum zwischen konservativen und liberalen Auffassungen. Besonders große Differenzen gab es vor allem zwischen den verschiedenen Vertretern der hegel’schen Linken. So wandte sich insbesondere Marx strikt gegen die Philosophie Feuerbachs (der ihn mit der Philosophie Hegels bekannt gemacht hatte). Feuerbachs Denken hielt er für zu abstrakt und wenig praxistauglich.

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20. JAHRHUNDERT

Seit Ende des 19. Jahrhunderts kam es zu einer Neubelebung des Hegelianismus und zur Ausbildung verschiedener neuhegelianischer Strömungen; in Deutschland ging diese Bewegung vor allem von der Marburger Schule und der Südwestdeutschen Schule des Neukantianismus aus. In Italien waren es insbesondere die Arbeiten Benedetto Croces, die die Beschäftigung weiterer Kreise der philosophischen Öffentlichkeit mit der Philosophie Hegels förderten; in Frankreich wurden Jean Hyppolite sowie Alexandre Kojève mit seinen berühmten Hegel-Vorlesungen bedeutsam, in England Francis Herbert Bradley und in den USA John Ellis McTaggart.

Auch für die (neu)marxistische Philosophie eines Ernst Bloch oder Georg Lukács und für die Vertreter der Frankfurter Schule, namentlich Max Horkheimer, Theodor W. Adorno und Jürgen Habermas, blieb die Auseinandersetzung mit der Philosophie Hegels eine wichtige Quelle für das eigene Denken. Gleiches gilt für die Philosophie der Postmoderne.


Verfasst von:
Andreas Vierecke

 

Heiliges Römisches Reich

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EINLEITUNG

Heiliges Römisches Reich, politisches Gefüge in Westeuropa, das vom Hochmittelalter bis zum Jahr 1806 bestand, basierend auf der universalistischen Tradition des Römischen Reiches. Im 11. Jahrhundert wurde es als Römisches Reich (Imperium Romanorum) bezeichnet, im 12. Jahrhundert als Heiliges Reich (Sacrum Imperium); im 13. Jahrhundert verschmolzen beide Bezeichnungen zum Begriff Heiliges Römisches Reich (Sacrum Romanorum Imperium). Der Zusatz „deutscher Nation" war vom 15. bis Mitte des 16. Jahrhunderts gebräuchlich. Auch wenn sich die Grenzen des Reiches im Lauf seiner Geschichte stark veränderten, war der Kern geographisch immer identisch mit Teilen der späteren deutschen Staaten. Ab dem 10. Jahrhundert wurde der Herrscher des Reiches normalerweise zunächst zum König gewählt und strebte dann, nicht immer mit Erfolg, die Krönung zum Kaiser durch den Papst in Rom an; ab dem 16. Jahrhundert nahm er mit seiner Wahl den Kaisertitel an.

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VORGESCHICHTE

Das Heilige Römische Reich war ein Versuch, das Weströmische Reich zu erneuern, das im 5. Jahrhundert auseinander gebrochen und durch unabhängige germanische Staatsgebilde ersetzt worden war. Romulus Augustulus, der letzte weströmische Kaiser, war 476 abgesetzt worden. Während des frühen Mittelalters hielten die Päpste in Rom die traditionelle Idee von einem weltlichen Reich als Schutzmacht des geistlichen Reiches der Kirche lebendig (siehe auch Reichsidee). Das Oströmische oder Byzantinische Reich behielt nominell die Hoheit über die Gebiete, die früher zum Weströmischen Reich gehörten. Viele der germanischen Stämme in den ehemals weströmischen Gebieten erkannten den byzantinischen Kaiser auch formell als Oberherrn an; ebenso anerkannten die römischen Päpste nach der Absetzung des Romulus Augustulus eine Zeit lang die Oberhoheit des Oströmischen Reiches, zum Teil auch deshalb, weil sie auf die Byzantiner zum Schutz gegen die Langobarden angewiesen waren.

Mit dem Entstehen von unabhängigen christlichen germanischen Königreichen im 6. und 7. Jahrhundert verloren die byzantinischen Kaiser ihre Oberhoheit im Westen praktisch völlig. Die weltliche Macht des römischen, westlichen Papsttums nahm gleichzeitig zu, besonders während des Pontifikats von Papst Gregor I. (590-604). Das Papsttum zeigte sich nun zunehmend ablehnend gegenüber einer Einflussnahme der weltlichen und der geistlichen Obrigkeit in Konstantinopel in die Angelegenheiten und Gepflogenheiten der westlichen Kirche. Die daraus folgende Fehde zwischen der Kirche im Osten und der im Westen nahm während der Herrschaft des byzantinischen Kaisers Leon III. (717-741) kritische Ausmaße an, als dieser die Verwendung von Bildern bei christlichen Zeremonien untersagte (siehe Bilderstreit). Der päpstliche Widerstand gegen Leons Dekrete kulminierte 730/732 im Bruch mit Konstantinopel.

Nach dem Bruch mit dem Byzantinischen Reich strebte das Papsttum eine Erneuerung des Weströmischen Reiches an und zog dabei zeitweise die Möglichkeit in Betracht, selbst dieses Reich wiederherzustellen und in dem wiedererrichteten Reich die Führung selbst zu übernehmen. Da die Kirche jedoch weder über Truppen noch eine Verwaltung verfügte, zudem durch die Langobarden in Italien bedroht war, gab sie die Idee eines zugleich geistlichen und weltlichen Reiches unter päpstlicher Führung wieder auf. Sie schien vielmehr entschlossen, die Führung des Reiches an die damals in Westeuropa dominierende Macht, das Königreich der Franken, zu übertragen. Karl der Große, der 768 den fränkischen Thron bestiegen hatte, hatte sowohl seine Treue zur Kirche wie auch seine machtpolitische Eignung für das hohe Amt bereits hinreichend unter Beweis gestellt.

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DAS FRÄNKISCHE REICH

Am 25. Dezember 800 krönte Papst Leo III. Karl den Großen zum Kaiser. Mit diesem Akt wurde sowohl ein Präzedenzfall als auch eine Herrschaftsform geschaffen – beide sollten eine entscheidende Rolle in Mitteleuropa spielen. Als Präzedenzfall begründete die Kaiserkrönung Karls des Großen den Anspruch der Päpste auf die Krönung, d. h. im Prinzip auch auf die Wahl, und im Extremfall auf die Absetzung der Kaiser und galt, zumindest theoretisch, fast 700 Jahre lang. In seiner ersten Stufe hielt das erneuerte Weströmische Reich als politische Einheit nach dem Tod Karls des Großen im Jahr 814 weniger als ein Vierteljahrhundert. Die Herrschaft seines Sohnes und Nachfolgers Ludwig I., des Frommen war bereits von den Zwistigkeiten zwischen dessen Söhnen und Erben gekennzeichnet; nach Ludwigs Tod 840 wurde das Reich unter seinen drei verbliebenen Söhnen aufgeteilt (siehe Vertrag von Verdun).

Trotz der Aufteilung des Frankenreiches und den damit verbundenen Konflikten im erneuerten Weströmischen Reich sorgten die Päpste fast das ganze 9. Jahrhundert über für den Erhalt des Kaisertums und den Verbleib der Kaiserwürde bei der Karolinger-Dynastie. Die Kaiser hatten jedoch über die Grenzen ihrer Herrschaftsgebiete hinaus kaum Einfluss. Nach dem Tod Kaiser Berengars I. im Jahr 924, der von Papst Johannes X. zum Kaiser gekrönt worden war, blieb der Kaiserthron fast vier Jahrzehnte lang verwaist. In dieser Zeit stieg das Ostfränkische Reich, jenes Gebiet, das zum Kern des Heiligen Römischen Reiches wurde, unter der Führung von König Heinrich I. und seinem Sohn Otto I. zur stärksten Macht in Europa auf. Otto I. war nicht nur ein fähiger und ehrgeiziger Herrscher, sondern vertrat auch machtvoll die Belange von Kirche und Papsttum, so etwa durch die Missionierung im Gebiet östlich der Elbe und durch seinen Sieg über Berengar II. in Italien, gegen den ihn der bedrängte Papst Johannes XII. zu Hilfe gerufen hatte. 962 krönte Papst Johannes XII. Otto zum Kaiser.

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KAISER UND REICH

Das Heilige Römische Reich, zunächst ein relativ lockerer Verbund aus den deutschen Stammesherzogtümern mit Oberitalien und zeitweise Burgund, in seiner Endphase ein Konglomerat weitgehend unabhängiger Territorialstaaten, existierte fast achteinhalb Jahrhunderte lang. Während der ersten drei Jahrhunderte seines Bestehens, bis zum Zusammenbruch der Reichsherrschaft in Reichsitalien im Zuge des Interregnums in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, spielte das römisch-deutsche Kaisertum eine entscheidende Rolle in der europäischen Macht- und Kirchenpolitik. Ein Charakteristikum dieser Zeit waren die tief greifenden Auseinandersetzungen zwischen Päpsten (allen voran Gregor VII.) und Kaisern (vor allem Heinrich IV.) um die Vorherrschaft in der Kirche und schließlich um das Verhältnis zwischen weltlicher und geistlicher Gewalt überhaupt (siehe Investiturstreit). Im Wormser Konkordat, 1122 zwischen Kaiser Heinrich V. und Papst Kalixt II. geschlossen, verzichtete der Kaiser schließlich auf die Investitur von Bischöfen und Äbten in ihr geistliches Amt und damit auf einen Teil seines Einflusses auf die Kirche. Das Wormser Konkordat hatte eine Quelle der Spannung zwischen Papsttum und Kaisertum beseitigt, aber der Kampf um die politische Vormachtstellung dauerte das ganze 12. Jahrhundert hindurch an. 1157 verwendete Friedrich I. Barbarossa zum ersten Mal die Bezeichnung Sacrum Imperium („Heiliges Reich"), um den sakralen Charakter des Kaisertums zu betonen. In seinem Bestreben, sein Königtum in Deutschland zu stärken und sein Kaisertum in Reichsitalien durchzusetzen, versuchte Friedrich, sowohl den Adel in Deutschland als auch die Stadtstaaten in Norditalien unter seine Kontrolle zu bringen. Seine Interventionen in Italien stießen auf den Widerstand des Lombardischen Bundes und führten zu einer schweren Belastung der Beziehungen Friedrichs zum Papsttum. Papst Hadrian IV. bestand darauf, dass das Kaiserreich ein päpstliches Lehen sei, während der Kaiser mit Rückendeckung der deutschen Bischöfe die Meinung vertrat, dass das Kaisertum allein von Gott komme. In den folgenden zwei Jahrzehnten kam es in Italien immer wieder zu Kämpfen, und 1176 wurde Friedrich bei Legnano vom Lombardischen Bund besiegt. Mit ihrem Sieg schufen die norditalienischen Städte die Grundlage für ihre Unabhängigkeit von der kaiserlichen Herrschaft. Kaiser Friedrich II. scheiterte im 13. Jahrhundert bei dem erneuten Versuch, die italienischen Städte und das Papsttum seiner Herrschaft zu unterwerfen und wieder dem Kaisertum zu unterstellen.

Das Heilige Römische Reich spielte nach dem Interregnum (1254-1273) in der Macht- und Kirchenpolitik in Europa vorerst keine wichtige Rolle mehr. Nach dem Tod Friedrichs II. 1250 rivalisierten Friedrichs Sohn Konrad IV. und Wilhelm von Holland um den römisch-deutschen Königs- bzw. Kaiserthron; nach deren Tod wurden 1257 Richard von Cornwall und Alfons von Kastilien zu (Gegen-)Königen gewählt; beide waren jedoch nicht in der Lage, ihre Herrschaft im Reich tatsächlich auch durchzusetzen, dafür gelang es dem Papsttum in dieser Zeit der Wirren, seinen Einfluss auf das römisch-deutsche Königtum wieder auszubauen.

1273 wurde mit Rudolf I. der erste Habsburger auf den römisch-deutschen Thron gewählt. Ludwig IV., der Bayer, seit 1314 König, bestritt dem Papsttum jegliches Recht auf Einflussnahme auf die Königswahl; er ließ sich als erster römisch-deutscher König nicht vom Papst, sondern von Vertretern der Stadt Rom zum Kaiser krönen. 1356 erließ Karl IV. die Goldene Bulle, in der Form und Ablauf der Königswahl festgelegt und die Bedeutung der Kurfürsten, der Wähler des Königs, herausgestellt wurde.

Karl V., seit 1519 König und 1530 als letzter römisch-deutscher Kaiser vom Papst gekrönt, suchte unter Rückgriff auf die Kaiseridee Karls des Großen das Heilige Römische Reich als christliches, vom Kaiser gelenktes Universalreich wiederzubeleben. Die Umsetzung der Idee scheiterte jedoch sowohl an den Reichsfürsten in Deutschland, die nicht bereit waren, ihre seit dem Interregnum erworbenen Privilegien aufzugeben und sich einer kaiserlichen Zentralgewalt zu unterstellen, als auch am Papsttum, das Karls Kaiseridee aus machtpolitischen Gründen ablehnte. Die mittelalterliche Vorstellung von der Einheit von Kirche und Reich schließlich erwies sich mit dem Fortschreiten der Reformation vollends als überlebt.

Die Einheit des Reiches wurde 1555 weiter geschwächt, als der Augsburger Religionsfriede den weltlichen Reichsständen in Deutschland die Wahl zwischen der lutherischen und der katholischen Konfession ließ. Mit dem Westfälischen Frieden, der 1648 den Dreißigjährigen Krieg beendete, wurde die fortgeschrittene territoriale Zersplitterung des Reiches festgeschrieben, die Reichsstände wurden faktisch souverän und der Kaiser zu kaum mehr als einer Symbolfigur degradiert. Der absolutistische Zentralstaat Frankreich stieg nun zur führenden Macht in Europa auf.

In seiner letzten Phase diente die Kaiserwürde im Heiligen Römischen Reich in hohem Maße der Befriedigung der Ambitionen der Inhaber der Kaiserwürde, der Habsburger, garantierte aber doch auch noch einen gewissen Zusammenhalt unter den einzelnen Staaten des Reiches. Die späteren habsburgischen Kaiser, als Herrscher über Österreich vor allem um ihre Erblande und weniger um das Reich besorgt, waren nur noch Repräsentationsfiguren.

Mit der Gründung des Rheinbundes 1806 und dem Austritt einiger deutscher Staaten aus dem Reichsverband löste sich das Heilige Römische Reich endgültig auf; folgerichtig legte Franz II., der letzte Kaiser des alten Reiches, am 6. August 1806 die römisch-deutsche Kaiserwürde nieder.

In der jüngsten Geschichte berief sich Adolf Hitler mit dem Begriff Drittes Reich (1933-1945) auf eine Kontinuität der Reiche seit dem Ersten Reich (962-1806) und dem Zweiten Reich (Deutsches Kaiserreich, 1871-1918).

 

Hoftheater

Hoftheater, auch Hofbühne, durch die zahlreichen kleinen und mittleren Fürstentümer bedingte deutsche Sonderform des europäischen Höfischen Theaters, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entstand. Nach dem Vorbild der Theater im französischen Absolutismus dienten die Hoftheater der adeligen Repräsentation. Zumeist wurden die Theatergebäude in den architektonischen Gesamtkomplex der Residenzen miteinbezogen. Das erste Hoftheater in Deutschland entstand 1775 in Gotha. Ihm folgten ein Theater in Wien (das spätere Nationaltheater), Mannheim (1777), Berlin und Weimar (1786), Letzteres unter der Leitung Johann Wolfgang von Goethes. Im 19. Jahrhundert galten die Hoftheater als Stätte eines erstarrten Spielstils und Repertoirs. Im Zug der Novemberrevolution von 1918 wurden die rund 30 deutschen Hoftheater in Staats- bzw. Stadttheater umgewandelt.

Schauspielern die längere Zeit am Hoftheater tätig waren, wurde der Ehrentitel Hofschauspieler verliehen; er war zumeist mit einer Pension verbunden.


Verfasst von:
Gerhard Pollok

 

 

Göttinger Hain

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EINLEITUNG

Göttinger Hain, auch Hainbund, spontan auf einem gemeinsamen Spaziergang am Abend des 12. September 1772 gegründeter Bund befreundeter Dichter, zu dem u. a. Ludwig Christoph Heinrich Hölty, Johann Heinrich Voß, Johann Martin Miller, Heinrich Christian Boie sowie die Grafen Christian und Friedrich Leopold zu Stolberg gehörten; die meisten Mitglieder waren Studenten der Göttinger Universität. Der Name geht zurück auf die Ode Der Hügel und der Hain (1771) des bewunderten Friedrich Gottlieb Klopstock, in der sich der Verfasser zu einer von der antiken Vorstellungswelt abgelösten neuen deutschen Dichtung bekannte. (Im Gedicht ist der Hügel Sinnbild des Parnass der griechischen Musen, der Hain des Orts der germanischen Barden.) In enger Verbindung zum Göttinger Hain standen der in der Nähe wohnende Gottfried August Bürger, Matthias Claudius in Wandsbeck, Leopold Friedrich Günther von Goeckingk, Christian Friedrich Daniel Schubart und Klopstock in Hamburg, der den Bund 1774 um Aufnahme bat und ihn im selben Jahr in Göttingen besuchte. Mit der Beendigung der Studien seiner Mitglieder löste sich der Bund 1775 langsam auf.

Die Begeisterung für die nach damaligem Kenntnisstand germanische Mythologie (die aber auch Elemente der angelsächsischen, keltischen und altnordischen Mythologie einschloss) spiegelte sich auch in den Bardennamen wider, die die Mitglieder in ihren Gedichten annahmen: So erschien z. B. Heinrich Christian Boie als Werdomar, Voß als Sangrich, Hölty als Haining und Johann Martin Miller als Minnenhold. In wöchentlichen Sitzungen wurden die Dichtungen der Mitglieder vorgetragen, kritisiert, verbessert und im Bundesbuch dokumentiert. Publikationsorgan des Göttinger Hains war dann der von Boie seit 1770 herausgegebene Göttinger Musenalmanach, der als Musenalmanach eine breit angelegte Anthologie zeitgenössischer Literaturproduktion darstellte. In den Ausgaben von 1773 bis 1775 fand der Bund hier sein eigentliches Podium.

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WERK

Der Bund war ein Dichterkreis mit großem politischem und literarischem Sendungsbewusstsein. Er verstand sich, von der Empfindsamkeit herkommend, als Gegenbewegung zum herrschenden Rationalismus der Aufklärung und setzte diesem einen Freundschaftskult, schwärmerische Naturstimmung, die Verherrlichung des Landlebens, einen frankophoben Patriotismus sowie einen unpolitisch-poetischen Tyrannenhass entgegen; auf diese Weise sollte zur Erneuerung von Poesie, Moral und Nationalstolz beigetragen werden. Dies bedeutete auch eine vehemente Ablehnung der Dichtung des Rokoko und des Einflusses ausländischer, vor allem französischer Literatur, für die Christoph Martin Wieland repräsentativ erschien und dessen Idris der Hainbund rituell verbrannte (siehe Bücherverbrennung). Namentlich Kelletat galt Wieland als verachtenswerter „Popanz der weichlichen, schlüpfrigen Dichtart". Als Kritik an diesem Dichterhass notierte der in Göttingen lehrende Georg Christoph Lichtenberg in sein Sudelbuch (D 440): „Es gibt heuer eine Art Leute, die das Wort deutsch fast immer mit offenen Nasenlöchern aussprechen."

Mit dem Ausdrucksstreben des Sturm und Drang verband den Hainbund die bevorzugte Gestaltung einer erlebten Gefühlsaussage. Er bediente sich dabei lyrischer Formen wie der Ode, Elegie, Idylle, Hymne, des Liedes und der Ballade. Die Forderung nach Unmittelbarkeit des Ausdrucks sowie die Ethik der Aufrichtigkeit und Wahrheit sollte mit der Neuentdeckung des altdeutschen Gesellschaftslieds und des Minnesangs verbunden werden. Vorbilder waren neben Klopstocks Oden außerdem die so genannte Friedhofsdichtung (Graveyard Poetry) der englischen Literatur, die Bardendichtung sowie die liedhafte Volksdichtung, die er – bei intensiver Bemühung um den Vers – in eine ungekünstelte, subjektiv perspektivierte lyrische Sprechweise zu transformieren suchte; bevorzugt wurden die kleinen lyrischen Formen. In den Oden von Stolberg, Voß, Hölty und Miller findet sich dabei noch Topisches (Nachtigall, Wald, Mond, Bach etc.), aber auch Erlebtes und Persönliches (wie Liebe, Freundschaft oder Vaterlandsbegeisterung). Insgesamt konturieren sich die Oden des Bundes, anders als die feierlich-pathetischen Klopstocks, durch ihre Kürze, durch eine Bevorzugung des Menschlich-Intimen sowie durch ein präzises Naturgefühl.

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WIRKUNG

Unter anderem durch Bürgers Leonore im Almanach von 1774 trug der Göttinger Hain entscheidend bei zur Herausformung der deutschen Kunstballade, namentlich der dämonischen Natur- und Gespensterballade. Seine eigentliche Leistung liegt in der „Befreiung und Erprobung so vieler Formen" der Lyrik, „die für die weitere Geschichte der lyrischen Dichtarten vielfältig anregend und fruchtbar geworden ist" (Kelletat). Eine Nachwirkung der Ode ist bei Novalis und Friedrich Hölderlin bis hin zu Eduard Mörike und zum späteren Rainer Maria Rilke spürbar.


Verfasst von:
Jörg Gallus