Epik

Epik, neben Lyrik und Dramatik eine der drei Grundgattungen der fiktionalen Literatur. Sie umfasst alle Formen des mündlichen und schriftlichen Erzählens vom Epos der antiken Literatur bis zum Comicstrip der Gegenwart. Die Literaturwissenschaft untersucht epische Werke vor allem unter den Aspekten der Erzählhaltung, was die Frage nach dem Erzähler, der Erzählperspektive oder der Zeitgestaltung mit einschließt. Als epische Gattungen bezeichnet man die Großformen Epos, Sage oder Roman sowie Klein- oder Kurzformen wie Novelle, Kurzgeschichte, Anekdote oder Parabel, aber auch die so genannten einfachen Formen, darunter Märchen, Rätsel und Witz. Die Erforschung der Epik beginnt mit der Poetik des Aristoteleles und hat heute in der Narrativik ein Forschungsfeld, welches das Studium der Erzählformen mit der Erzählpsychologie und -kommunikation zu einer komplexen Literaturtheorie verbindet.


Verfasst von:
Heribert Däschlein

 

 

Epos

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EINLEITUNG

Epos (griechisch: Wort, Rede, Erzählung, Gedicht), lange, erzählende Dichtung, erhaben in Thematik und Stil. Das Epos ist eine bereits in der Antike ausgebildete Großform narrativer Dichtung, oft als Versepos realisiert. Epen entstanden vor dem Hintergrund archaischer Gesellschaften mit mythischem Weltbild und religiös legitimierten Herrschaftsformen (Gottkönigtum etc.). Entsprechend sind Inhalt und Sprache des Epos von feierlichem, gehobenem Charakter, z. B. als Götter- oder Heldenepos, und von starker formaler Geschlossenheit (stetes Versmaß, Strukturierung durch Gesänge, Aventiuren etc.). Inhaltlich befasst sich das Epos zumeist mit Leben und Taten großer historischer Persönlichkeiten oder Sagengestalten. Man unterscheidet zwischen Volksepik und literarischer Epik.

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VOLKSEPIK

Die Volksepik entwickelt sich aus der Tradition der mündlichen Erzählung und des Erzählliedes, das in der höfischen Poesie der Barden noch im Hochmittelalter präsent ist. Dieses überlieferte Erzähl- und Sagengut wird mit beginnender Literaturfähigkeit der Sprache im jeweiligen Kulturkreis von unbekannten Dichtern niedergeschrieben und lebt in literarischer Form weiter. Als ältestes Zeugnis der Volksepen gilt das babylonische Gilgamesch-Epos (2. Jahrtausend v. Chr.), gefolgt von den indischen Mahabharata (4. Jahrhundert v. Chr. bis 4. Jahrhundert n. Chr.) und Ramayana (4. Jahrhundert v. Chr. bis 2. Jahrhundert n. Chr.). Die frühesten westlichen Beispiele sind die Homer zugeschriebenen Heldenepen Ilias und Odyssee (8. Jahrhundert v. Chr.), die zugleich den Ursprung der abendländischen Dichtung überhaupt bilden. Vergils Aeneis (1. Jahrhundert v. Chr.) knüpft stofflich an Homer an; dieser Sagenkreis erfährt noch in der byzantinischen Antike zahlreiche Bearbeitungen. Neue Formen des Epos, wie die Herrschervita, die Chronik und Heiligenlegende und die französischen Chansons de geste, bilden sich erst im Mittelalter heraus. Ungefähr seit dem 9. Jahrhundert entstehen Heldenepen, die stofflich auf die nordisch-altgermanische Mythologie und auf teils noch ältere Quellen zurückgreifen, wie der Zyklus des keltischen Helden Ossian (9./10. Jahrhundert), das Waltharilied (9./10. Jahrhundert) und das altenglische Stabreimepos Beowulf (10. Jahrhundert). Der Beowulf ist das älteste vollständig erhaltene Epos dieses Kulturkreises und beschreibt die Heldentaten eines schwedischen Fürsten, wie seine Kämpfe gegen den Riesen Grindel. Meisterwerke des mittelalterlichen Epos sind auch das mittelhochdeutsche Nibelungenlied (um 1200) und das altfranzösische Rolandslied (um 1100) sowie das spanische Poema del Cid (um 1140). Als literarisch eminent fruchtbar erweist sich der Komplex der Artussage, der im normannischen Roman de brut (1155) erstmals schriftliche Form erhält und noch im gesamten europäischen Roman des Mittelalters präsent ist (Chrétien de Troyes, Hartmann von Aue, Gottfried von Straßburg u. a.). Um die mit Artus verbundenen Helden der „Tafelrunde" (Tristan, Parzival etc.) entstehen wiederum zahlreiche eigene Abenteuerepen. Das Volksepos geht – wie auch das literarische Epos – später in der Form des Romans auf, doch die Attraktivität der vor allem im Heldenepos geschilderten magischen Welt und ihres typischen Personals (Könige, Helden, Hexen, Zauberer, Drachen und andere Monster) ist bis heute ungebrochen. Der eher triviale Traditionsstrang setzt sich fort über die Ritter-und-Räuber-Romane des Barock bis in die Welt der Comics und Fantasy-Romane und -Filme, ein poetisch-mythologisches Interesse ist dagegen in den Musikdramen Richard Wagners wirksam.

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LITERARISCHE EPIK

Literarische Epen oder Kunstepen stammen, im Gegensatz zu den anonym verfassten Volksepen, von bekannten Autoren, die sich dabei stilistisch meist eng an ältere Vorbilder des Volksepos anlehnen und sich häufig aus dessen Stoff- und Motivfundus bedienen. Die Ilias und die Odyssee gelten als Vorform des literarischen Epos wie auch Vergils lateinische Nachfolgedichtung Aeneis.

Mit zunehmender Differenzierung der nachmittelalterlichen Gesellschaft verliert sich allmählich auch das Interesse am Epos. Miltons Das verlorene Paradies (1667-1674) und Klopstocks Messias (1748-1773) lassen das Genre noch einmal erfolgreich aufleben, aber die lyrisch-epische Versdichtung der Romantik (vor allem England und Russland: Byron, Keats, Shelley, Puschkin) und erst recht die späteren Dichtungen Whitmans und Pounds weisen zwar noch eine Affinität zum Epos auf, gattungsmäßig sind sie ihm aber nicht mehr zuzurechnen.

 

Essay

Essay (englisch: Versuch, Probe, zu lateinisch exagium: das Wägen), in Prosa verfasste und stilistisch hoch stehende, zumeist kürzere Abhandlung mit sprunghaft-unsystematischem, intuitiv-assoziatorischem Charakter. Durch seinen ästhetischen Anspruch unterscheidet sich der Essay vom journalistischen Feuilleton oder vom Traktat, durch seine subjektive Formung vom Bericht. Thematisch ist er nicht festzulegen. Gegenstandsbereiche sind etwa soziologischer (Georg Simmel), kunsthistorischer (Jacob Burckhardt), philosophischer (Gottfried Wilhelm von Leibniz), literaturgeschichtlicher (Odo Marquart) oder wissenschaftlicher Natur (Werner Heisenberg, Robert Jungk, Carl Friedrich von Weizsäcker).

Vorformen des Essays finden sich bereits in der Antike (Plutarch, Seneca, Cicero, Horaz, Mark Aurel, Catull). Der Begriff selbst geht auf Michel de Montaigne zurück (Essais, 1580), der auch den spielerisch-offenen Aspekt der Form hervorhob, indem er seine Gedankenfolge mit einem „Spaziergang" und der Fahrt eines Schiffes über die stürmische See verglich. Auch stellte er bereits die Subjektivität der Darstellung ins Zentrum („Ich selbst bin der einzige Inhalt meines Buches"). Die englische Tradition eines eher objektiv-naturwissenschaftlichen, formal strengen Typus wurde von Francis Bacon etabliert, der seine 1597 begonnenen Betrachtungen Essays nannte. In der Folge geriet vor allem das Fragmentarische und Philosophische des Essays in den Blickpunkt (René Descartes, Blaise Pascal, John Locke etc.). In Deutschland versuchten etwa Gotthold Ephraim Lessing, Johann Gottfried von Herder, Goethe, Christoph Martin Wieland, Georg Christoph Lichtenberg und Georg Forster die literarische Form zu kultivieren.

In der literarischen Moderne entstand, ausgehend von Otto Flake und Robert Müller, der von Hermann Broch (Die Schlafwandler, 1931/32) und Robert Musil (Der Mann ohne Eigenschaften, 1930-1952) perfektionierte „Roman-Essay" (Müller), der durch betrachtende Einschübe (Broch) die Romangattung aufsprengte oder aber durch ein intellektualisiertes Schreiben (Musil) das essayistische Verfahren in die Erzählstrategie integrierte.

Bedeutende Essayisten waren Thomas De Quincey, Henry Thoreau, Ralph Waldo Emerson, Friedrich Nietzsche, Aldous Huxley, José Ortega y Gasset, Henri Bergson, Anatole France, Karl Jaspers, Walter Benjamin, Ernst Bloch, Virginia Woolf, T. S. Eliot, Stefan Zweig, Heinrich und Thomas Mann, Hugo von Hofmannsthal, Ernst Robert Curtius, Rudolf Borchardt, Karl Kraus, Gottfried Benn, Robert Musil, Ernst Jünger, Siegfried Kracauer, Hilde Spiel, Albert Camus, Jorge Luis Borges, Susan Sontag, Umberto Eco, Octavio Paz, Walter Jens, Hans Magnus Enzensberger, Peter Sloterdijk, Josef Pieper, Werner Kraft, Peter Schneider und Barbara Sichtermann.

Theorien zum Essay legten u. a. Georg Lukács, Theodor W. Adorno und Max Bense vor. Eine Sonderform ist der Radio- bzw. Fernseh-Essay (Feature), der das Verfahren der literarischen Gattung auf andere Medien überträgt.