Ballade

Ballade (von italienisch ballata und provenzalisch balada: Tanzlied), ursprünglich ein provenzalisches Lied, das von Tanzenden gesungen wurde. In der Literatur bezeichnet Ballade eine altfranzösische Versform, die in der Regel aus drei acht- bis zehnzeiligen Strophen mit einer abschließenden vierzeiligen Strophe, dem so genannten Geleit, besteht. Meistens verwendet die Ballade jambische oder anapästische Tetrameter des Reimschemas ababbcbC. Das Geleit, eine Widmung an eine wichtige Persönlichkeit oder Personifikation, weist das Reimschema bcbC auf. Die letzte Zeile (C) der ersten Strophe wird als Refrain in jeder folgenden Strophe wiederholt. Eine weitere häufig gebrauchte Form der Ballade besteht aus einer zehnzeiligen Strophe mit fünffüßigen Versen und dem Reimschema ababbccdcD; das Geleit umfasst fünf Zeilen des Reimschemas ccdcD.

Die Ballade, die ursprünglich für musikalische Zwecke geschrieben wurde, hat ihren Ursprung im Mittelalter in Italien und der Provence. Als eigenständige Form entwickelte sie sich erst im 14. Jahrhundert im Werk des französischen Dichters und Komponisten Guillaume de Machaut. Die bekanntesten Beispiele früher Balladen stammen ebenfalls von französischen Dichtern des 14. und 15. Jahrhunderts, insbesondere von François Villon und Charles d’Orléans. Zu dieser Zeit waren sie auch in England verbreitet (Geoffrey Chaucer, Complaint to His Empty Purse), wo sie später im Symbolismus eine Renaissance erlebten (Algernon Swinburne, Dante Gabriel Rossetti). In Nordeuropa griff die Ballade auf das episch-dramatische Inventar des alten Heldenliedes zurück und brachte das Genre der Volksballaden hervor (Heldenballade, Legendenballade usw.). In der Klassik und Romantik entstanden Sammlungen der alten Volksballaden, so in Deutschland durch Johann Gottfried von Herder, Clemens Brentano und Achim von Arnim bzw. Wilhelm Grimm, und initiierten dort das Entstehen der Kunstballade. Bekannte Beispiele sind Gottfried Bürgers Lenore und Goethes Der Erlkönig. Die deutsche Balladentradition wurde im 19. Jahrhundert fortgesetzt (Adelbert von Chamisso, Ludwig Uhland, Heinrich Heine, Theodor Fontane). Bertolt Brecht schuf unter Verwendung der Bänkellied-Variante die politische Ballade, die nach 1945 zum beherrschenden Typus avancierte, so etwa bei Wolf Biermann, Peter Hacks und Günter Kunert.

Im Bereich der Musik folgt die Ballade dem Schema AAB (A = Text ab; B = Text bcbC). Die Troubadoure und Trouvères des 12. und 13. Jahrhunderts komponierten monophone Balladen, d. h. Balladen, deren Melodien nicht harmonisch unterlegt waren (die Troubadours nannten diese Form canzo). Diese frühen Texte wiesen bereits auf die spätere Standard-Versform hin. Machaut etablierte die Ballade als polyphone (mehrstimmige) Form. Bis zum Ende des 14. Jahrhunderts avancierte sie zur bevorzugten profanen Liedform und setzte sich bis ins 15. Jahrhundert fort. Die typische Balladenform in der Musik, so wie sie z. B. in Machauts Nes que on porroit auftritt (Oberstimme, meist mit vielen Verzierungen, für Solostimme; die beiden tieferen Stimmen normalerweise für Instrumente), beeinflusste auch andere Formen und spielte in Europa für die profane, mehrstimmige Liedkomposition des 16. Jahrhunderts eine zentrale Rolle. Später wurden besonders die literarischen Kunstballaden häufig vertont (Franz Schubert, Carl Loewe, Robert Schumann, Johannes Brahms und Hugo Wolf). Neben der Klavierballade, die anfangs von bestimmten Dichtungen ausging und musikalische Stimmungen im Balladenton nachzeichnete (Frédérik Chopin), entstanden im 19. Jahrhundert auch Opernballaden (Richard Wagners Der fliegende Holländer; Ballade der Senta), Orchesterballaden (Paul Abraham Dukas’ L’apprenti sorcier) und Chorballaden (Mendelssohn Bartholdys Die erste Walpurgisnacht).

 

Berliner Moderne

Berliner Moderne, Schlagwort der Literaturwissenschaft für jene in Berlin zwischen 1885 und 1914 entstandene Literatur, die sich, teils unter der Programmatik von Naturalismus, Impressionismus und Expressionismus bzw. im Umfeld der Boheme, dezidiert mit den neuen Schreibmodellen der Moderne auseinander setzte. Der Berliner Moderne sind so unterschiedliche Autoren wie Hermann Conradi, die Brüder Hart, Otto Brahm, Arno Holz, Johannes Schlaf, Robert Walser, Gottfried Benn, Carl Einstein, Richard Dehmel, Stanislaw Przybyszewski, Else Lasker-Schüler, Alfred Kerr, Otto Julius Bierbaum, Herwarth Walden, Julius Bab, Christian Morgenstern, Gerhart Hauptmann, Alfred Döblin, Paul Scheerbart, Georg Heym, Jakob van Hoddis, Ernst Blass und Kurt Hiller (siehe Aktivismus), zuzurechnen.

 

Revolutionen 1848/49

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EINLEITUNG

Revolutionen 1848/49, revolutionäre Bewegungen in beinahe ganz Europa im Lauf des Jahres 1848.

Träger der Revolutionen waren vor allem das erstarkende Bürgertum, das entsprechend seinem Gewicht in der Gesellschaft Mitwirkung im Staatswesen einforderte; daneben waren in unterschiedlichem Maße nationalstaatliche und soziale Komponenten wirksam. Nicht beteiligt an den europaweiten revolutionären Auseinandersetzungen waren Russland, wo die autokratische Regierung jegliche Opposition unterdrückte, sowie England und Spanien, wo durch gesetzgeberische Maßnahmen vorläufig Ruhe eingekehrt war. Obwohl die verfassungsmäßigen Zugeständnisse der Regierungen in Reaktion auf die revolutionären Erhebungen nur vergleichsweise gering und kurzlebig waren, so zeitigten die Revolutionen doch nachhaltige soziale, wirtschaftliche und nationalstaatliche Wirkungen.

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FRANKREICH

Die Revolution begann im Februar 1848 in Frankreich. Hier forderten republikanische und konstitutionell-liberale Kräfte die Reform des Wahlrechtes, so z. B. die Abschaffung des einseitig das Großbürgertum bevorzugenden Zensuswahlrechtes; als die Regierung eine öffentliche Veranstaltung der Republikaner für eine Wahlrechtsreform untersagte, kam es in Paris zu Straßenkämpfen zwischen Opposition und Armee, zur so genannten Februarrevolution. Zentrale Forderung der Opposition, in der sich neben Republikanern und Liberalen auch Sozialisten zusammenfanden, war die Errichtung einer Republik; daneben wandte sie sich gegen die Korruption in der bestehenden Regierung und klagte soziale Reformen zugunsten der armen Landbevölkerung und des städtischen Proletariats ein.

Am 24. Februar 1848 wurde Ministerpräsident François Guizot gestürzt, König Louis Philippe dankte ab, und die provisorische Regierung unter Alphonse de Lamartine, der auch der Sozialist Louis Blanc angehörte, rief die Zweite Republik aus. Im Juni verfügte die neue, republikanisch dominierte Nationalversammlung die Schließung der im Februar gegründeten Nationalwerkstätten, in denen vor allem Arbeitslose beschäftigt wurden. Die Pariser Industriearbeiter, von der Schließung besonders hart betroffen, protestierten gegen diese Verfügung; es kam zu Erhebungen – den ersten sozialistischen in Europa –, die die Regierung blutig niederschlagen ließ. In Reaktion auf den blutigen Juniaufstand und aus dem Bedürfnis nach Ordnung und Sicherheit heraus entschied sich im Dezember 1848 eine deutliche Mehrheit der stimmberechtigten Franzosen für Louis Napoleon, den späteren Kaiser Napoleon III. und Neffen Napoleons I., als neuen Präsidenten der Republik.

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DEUTSCHLAND

Die Februarrevolution in Frankreich gab den Anstoß für die Märzrevolution in Deutschland. Auch hier war die wichtigste Forderung die nach einer konstitutionellen Verfassung; außerdem kämpfte das liberale und republikanische Bürgertum für die Einheit Deutschlands sowie gegen die Pressezensur und ähnliche Restriktionen, die noch aus den Zeiten des Wiener Kongresses und der Karlsbader Beschlüsse stammten, und auch in Deutschland wurden innerhalb der revolutionären Bewegung soziale Forderungen virulent. Wie in Frankreich scheiterte die Revolution in Deutschland, und zwar an der Uneinigkeit der Nationalbewegung, an den zögerlichen Beschlüssen der Nationalversammlung und am Wiedererstarken der Reaktion in den deutschen Ländern.

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ITALIEN

Die revolutionäre Bewegung in Italien hatte ebenfalls konstitutionelle Reformen und die Einigung des Landes zum Ziel und strebte außerdem die Befreiung von der österreichischen Fremdherrschaft (siehe Risorgimento). Bereits 1846 hatte Papst Pius IX. im Kirchenstaat Reformen eingeleitet und damit den Anstoß zu Reformen auch in den anderen italienischen Staaten gegeben. Im Februar 1848 wurde im Königreich Sardinien-Piemont per Verfassung die konstitutionelle Monarchie mit Zweikammersystem eingerichtet; im Königreich Neapel-Sizilien kam es im Januar 1848 zu schichtenübergreifenden Aufständen, die König Ferdinand II. schließlich zwangen, ebenfalls eine Verfassung zu erlassen; und auch in der Toskana und im Kirchenstaat traten Verfassungen in Kraft. Im Kampf gegen die antiliberale, österreichische Fremdherrschaft übernahm König Karl Albert von Sardinien-Piemont die Führung der italienischen Staaten; nach anfänglichen Erfolgen unterlagen die Italiener im Juli 1848, und auch nach der Wiederaufnahme des Krieges im März 1849 konnten sie die Österreicher nicht bezwingen. Der Versuch, die Österreicher aus Italien zu verdrängen und einen selbstbestimmten, konstitutionell organisierten Staat zu schaffen, war gescheitert.

Inzwischen war es im November 1848 in Rom zu radikaldemokratischen Erhebungen gekommen; der Papst floh vor den Aufständen aus Rom, und im Februar 1849 rief Giuseppe Mazzini in Rom die Republik aus (siehe Römische Republik). Bis zum Sommer konnte sich die Republik gegen französische und österreichische Truppen, die der Papst zu Hilfe gerufen hatte, verteidigen; dann wurde sie geschlagen, und der Papst kehrte nach Rom zurück. Nicht nur der Befreiungskampf gegen Österreich, sondern auch die Revolutionen im Inneren waren in Italien weitgehend gescheitert; auch hier waren es die Uneinigkeit der Führer der revolutionären Bewegungen sowie das Erstarken der reaktionären Kräfte in den italienischen Staaten, die einen Erfolg der revolutionären Bewegungen verhinderten.

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ÖSTERREICH

Im Vielvölkerstaat Österreich führten wachsender Nationalismus bzw. der Wunsch nach Selbstbestimmung u. a. in Böhmen, Ungarn, Galizien und Kroatien zu Aufständen, die überall auch soziale Komponenten hatten. Die Aufstände wurden niedergeschlagen, die Habsburgermonarchie aber schwer in Mitleidenschaft gezogen. In Wien revoltierten, beeinflusst von der Märzrevolution in Deutschland, vor allem Arbeiter und Studenten; sie erreichten im März 1848 u. a. die Abschaffung der Zensur, die Einrichtung einer konstitutionellen Komponente im Regierungssystem und schließlich die Absetzung des Fürsten von Metternich. Die Verfassung vom April musste die Regierung nach neuerlichen Aufständen im Mai wieder revidieren; Zweck der Verfassung war nicht nur die Einführung eines konstitutionellen Systems, sondern vor allem auch die Lösung der Nationalitätenfrage. Im Oktober brach in Wien erneut ein Aufstand aus, der wiederum blutig niedergeschlagen wurde; in der Folge dankte Kaiser Ferdinand I. zugunsten seines Neffen Franz Joseph I. ab, der seine Hauptaufgabe in der Wiederherstellung der kaiserlichen Autorität und der Unterdrückung der nationalen und liberalen Bewegungen sah. Im März 1849 oktroyierte die Regierung, nachdem sie mit dem gewählten Reichstag nicht zu einer Einigung gekommen war, eine Verfassung und schrieb damit die Rückkehr zur alten Ordnung fest (siehe Märzverfassung).

In Ungarn leitete im März 1848 Lajos Kossuth mit seiner Forderung nach der Autonomie für sein Land die Revolution ein. Noch im März setzte die österreichische Regierung den Oppositionellen Lajos von Batthyány als ungarischen Ministerpräsidenten ein. Im April musste sie die ungarische Verfassung, die Ungarn nur noch durch Personalunion mit Österreich verbunden sehen wollte und die ein parlamentarisches System schuf, anerkennen. Allerdings sahen sich nun die Serben von den Ungarn unterdrückt und erhoben sich; die folgende Intervention Österreichs in Ungarn führte im April 1849 zur ungarischen Unabhängigkeitserklärung und zur Errichtung der Republik unter Lajos Kossuth. Mit russischer Hilfe schlug Österreich die Revolution in Ungarn bis zum August 1849 nieder. Auch im Habsburgerreich also hatte die Reaktion gesiegt.

Politisch, d. h. was eine Liberalisierung der Gesellschaft und die Einrichtung parlamentarischer Regierungssysteme anbelangte, waren die Revolutionen in Europa weitgehend gescheitert; wirtschaftlich und sozial aber hatten sie durchaus Folgen: Das Bürgertum, politisch wieder entmündigt, konzentrierte sich nun auf die Wirtschaft und trieb die Industrialisierung voran; auf dem Land wurde die Bauernbefreiung vollendet. In Italien bereitete sie die Einigung von 1861 vor, in der Habsburgermonarchie den österreichisch-ungarischen Ausgleich von 1867 und in Deutschland die Reichsgründung von 1871 durch eine „Revolution von oben".


Biedermeier, Gottlieb

Wer war Gottlieb Biedermeier? - Eine ganze Literatur-, Kunst-, Architektur- ja Gesellschaftsepoche ist nach ihm benannt. Die Zeit zwischen 1815 und 1848, also eine gesellschaftliche Ermüdungsphase nach den napoleonischen Kriegen und dem brausenden Aufbäumen der Bürger im März 1848, die geprägt war von Duckmäusertum, durchlauchtesten Herrschaften, dem Glück im Winkel mit Schutenhut, Zipfelmütze, Kannapee und Ofenschirm. Man führte ein stilles, bescheidenes Leben im eigenen Heim und suchte das Abenteuer höchstens beim abendlichen Wirtshausbesuch, nach dem Nachtwächter und Hausdiener nicht allzu spät                      wieder heimleuchteten. Gottlieb Biedermeier lebte unter diesem Namen nicht. Er war eine Ulkfigur, von Leuten aus Karlsruhe geschaffen, die sich über einen reimenden Schulmeister aus Oberderdingen - Flehingen und dessen Poesien köstlich amüsierten. Nun, dessen Name war Samuel - Friedrich Sauter (1766-1848), geboren in Flehingen, Schulmeister ebenda und dem Nachbarort Zaisenhausen.

 

Bildungsroman

Bildungsroman, im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts entstandene Romangattung, die die Bildungs- und Entwicklungsgeschichte eines Menschen in seiner Auseinandersetzung mit der Welt thematisiert. In der Regel wird dabei die Bildungsgeschichte als Prozess der Selbstfindung und -orientierung verstanden, der zu einem Ausgleich von Ich und Welt führt bzw. diesen Ausgleich wenigstens als Postulat in sich einschließt. Der Begriff Entwicklungsroman wird häufig synonym mit Bildungsroman gebraucht. Darüber hinaus aber bezeichnet Entwicklungsroman oftmals – im Gegensatz zum konkreten historischen Gattungsbegriff des Bildungsromans – die allgemeinere, historisch nicht fixierte Kategorie. Betont didaktisch orientiert ist der Erziehungsroman.

Der Begriff Bildungsroman wurde bereits 1803 von Karl Morgenstern geprägt und 1817 bzw. 1820 in mehreren Aufsätzen erläutert. Doch erst mit Wilhelm Dilthey fand er in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts Eingang in die literaturwissenschaftliche Diskussion. Seine Herkunft aus der deutschen Tradition hat dazu geführt, dass man den Bildungsroman – oft mit nationaler Emphase – als spezifisch deutsche Literaturgattung angesehen hat bzw. noch immer ansieht.

Die Entstehung des Bildungsromans setzt die emanzipatorischen Tendenzen der Aufklärung voraus. Dazu gehören ein neues, von ständischen und religiösen Bindungen sich mehr und mehr befreiendes Selbstbewusstsein, die Entdeckung der eigenen, unverwechselbaren Individualität und der Glaube an einen subjektiven Bildungs- und Entwicklungsprozess, in dessen Verlauf individuelle Natur und äußere Welt, gerade durch produktiv bewältigte Krisen, zu einem Ausgleich finden (können). In diesem Sinn bilden die differenzierten Bildungs- und Humanitätsentwürfe der Weimarer Klassik den Hintergrund für die Anfänge der Gattung, auch wenn diese bereits auf tief greifende Entfremdungserfahrungen zurückgreifen: So konstituiert sich die Vorstellung einer Versöhnung von Subjekt und Welt als Ziel der Bildungsgeschichte von Anfang an nicht ohne Brüche. Vor allem im weiteren Verlauf der Gattungsentwicklung wird das harmonisierende Modell immer stärker problematisiert und durch Gegenmodelle in Frage gestellt.

Christoph Martin Wielands Geschichte des Agathon (1766/67, 1773, 1794) ist der erste deutsche Roman mit einer Bildungsgeschichte als zentralem Thema. Nach diesem Beispiel definierte Friedrich von Blanckenburg (Versuch über den Roman, 1774) den Roman generell als „innere Geschichte" eines Charakters. In Anton Reiser (4 Bde., 1785-1790) stellte Karl Philipp Moritz den – negativ verlaufenden – Werdegang eines Protagonisten dar, der mit seiner Flucht in eine idealisierte Literatur- und Theaterwelt an der Realität scheitert. Zum entscheidenden Gattungsmodell wurde dann Johann Wolfgang von Goethes Roman Wilhelm Meisters Lehrjahre (1795/96), wenn auch Romantiker wie Friedrich von Schlegel einen Zugang zum Buch nicht über den Bildungsaspekt, sondern über seine ironisch-poetische Konstruktion zu finden suchten. Nachfolgende Bildungsromane setzten sich weitgehend kritisch mit dem Goetheschen Paradigma auseinander. Hierzu gehören Ludwig Tiecks Franz Sternbalds Wanderungen (1798) Jean Pauls Romane Titan (1800/1803) und Flegeljahre (1804/05), Novalis’ Heinrich von Ofterdingen (1802), Joseph von Eichendorffs Ahnung und Gegenwart (1815) und Eduard Mörikes Maler Nolten (1832). Dezidiert parodistisch ist E. T. A. Hoffmanns Lebensansichten des Katers Murr (1819-1821), während die Bildungsromane des Realismus entweder die Brüchigkeit des neuhumanistischen Bildungskonzepts in schon fast desillusionierender Weise erkennen lassen (so Gottfried Kellers Der grüne Heinrich, 1854/55, Zweitfassung 1879/80) oder aber als Rahmen für die problemlos-organische Bildungsgeschichte eigens eine utopische Gegenwelt zur zeitgenössischen Gesellschaft erfinden (wie in Adalbert Stifters Der Nachsommer, 1857). Das Konzept der geglückten Integration des Individuums in die gesellschaftliche Ordnung geht hingegen in Gustav Freytags Soll und Haben (1855) bruchlos auf, allerdings um den Preis der utopischen Dimension der Gattung.

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wandten sich u. a. Thomas Mann und Hermann Hesse der Gattung zu. In den fünfziger und sechziger Jahren erlangte in der DDR der sozialistische Bildungsroman als Variante eine gewisse Bedeutung. Im Übrigen bleiben die Annäherungen an die Tradition schon deswegen punktuell, weil die Voraussetzungen des Bildungsromans (wie die Kontinuität der Existenz) mit der Moderne fragwürdig geworden sind.


Verfasst von:
Volker Meid

 

Burckhardt, Jacob

Burckhardt, Jacob (1818-1897), Schweizer Kunst- und Kulturhistoriker, der den Begriff der europäischen Renaissance zu einem wesentlichen Teil mitprägte. Jacob Burckhardt wurde am 25. Mai 1818 in Basel geboren, er studierte an den Universitäten Basel und Berlin. Mit Ausnahme von drei Jahren (1855-1858), in denen er am Polytechnischen Institut in Zürich arbeitete, lehrte er fünfzig Jahre lang (1843-1893) Kunst- und Kulturgeschichte an der Universität Basel. Er starb am 8. August 1897 in Basel.

Burckhardts erstes bedeutendes Werk war Die Zeit Constantin’s des Großen (1853), eine Studie über das Römische Reich im 4. Jahrhundert n. Chr., in der er den Zerfall der antiken Kultur und den Triumph der Christenheit analysiert. Es folgte Cicerone: Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens (1855). Burckhardts bekanntestes Werk ist Die Cultur der Renaissance in Italien (1860), das seinen internationalen Ruf als Kulturhistoriker begründete. In diesem Werk zeichnet er die Entwicklung der Kultur im Übergang vom Mittelalter bis hin zum Erwachen der modernen Geisteshaltung und Schaffenskraft der Renaissance nach, d. h. die Entwicklung von einer Gesellschaft, in der der Mensch in erster Linie als Mitglied einer Klasse oder Gemeinschaft definiert war, hin zu einer Gesellschaft, die die Bewusstwerdung des Menschen als Individuum idealisierte. Seine Cultur der Renaissance in Italien ist nach wie vor eines der wichtigsten Werke zu diesem Thema.


Verfasst von:
Cornelia Fischer

 

Burgtheater

Burgtheater, ursprünglich Theater an der Burg, dann Hof-Burgtheater (bis 1918), Bundestheater Österreichs in Wien, eines der bedeutendsten deutschsprachigen Theater überhaupt.

1741 von Maria Theresia als Theater nächst der Burg gegründet, wurde es 1776 von Kaiser Joseph II. zum Nationaltheater erklärt. 1888 verlegte man das Burgtheater in ein von Gottfried Semper (Grundriss) und Carl Freiherr von Hasenauer (Fassade) entworfenes Gebäude an der Wiener Ringstraße, das, 1944 ausgebrannt, 1955 restauriert wurde.

Unter seinem Dramaturgen Joseph Schreyvogel, der durch Grillparzer-Inszenierungen und Aufführungen von Klassikern (Shakespeare, Goethe, Schiller) das Repertoire der Bühne entscheidend prägte, erlebte das Burgtheater zwischen 1814 und 1832 seine erste kulturelle Hochzeit. Zu seinen bedeutenden Schauspielern gehörten Charlotte Wolter, Josef Lewinsky, Adolf von Sonnenthal und um 1900 Joseph Kainz, der die moderne (psychologische) Schauspielkunst entscheidend prägte. In jüngerer Zeit zählten Klaus Maria Brandauer und Gert Voss zum Ensemble. Von 1986 bis 2000 war Claus Peymann Direktor des Burgtheaters, unter dessen Regie zahlreiche umstrittene Stücke – u. a. von Peter Turrini, Thomas Bernhard, Peter Handke und Elfriede Jelinek – uraufgeführt wurden. Das Burgtheater verfügt über eine Kammerbühne (Akademietheater) und vergibt eine jährliche Auszeichnung (den Burgtheater-Ring) für Mitglieder des eigenes Hauses.

 

 

Bürgerliches Trauerspiel

Bürgerliches Trauerspiel, zur Mitte des 18. Jahrhunderts entstandene dramatische Gattung, die mit der klassizistischen Auffassung der Tragödie bricht und Probleme des häuslich-privaten Bereichs bzw. den Konflikt der Stände zum Gegenstand der Handlung macht. Damit wurde mit der bis dahin gültigen Ständeklausel gebrochen, die ausschließlich den Adel als Personal der Tragödie vorsah. Der Begriff bürgerlich allerdings hatte zunächst noch nicht die modernen, ökonomisch bestimmten Konturen: Als Akteure des bürgerlichen Trauerspieles fungieren sowohl Bürger als auch Adelige, „kurz, Jedweder, der Gelegenheit gehabt hat, sein Herz zu bessern, oder seinen Verstand aufzuklären" (Johann Gottlob Benjamin Pfeil: Vom bürgerlichen Trauerspiel, 1755). Ausgeschlossen bleiben die „Großen" (Fürsten, Könige) und der „Pöbel". Innerhalb dieses gesellschaftlichen „Mittelstandes" waren Gesinnung und Bildung die entscheidenden Kriterien.

Anders als in der klassizistischen Tragödie hatte die Handlung im bürgerlichen Trauerspiel keinen öffentlich-politischen Charakter. Nicht der Hof, sondern die Familie war jener Schauplatz, an dem die Figuren sich mit Problemen des häuslichen Lebens, der mitmenschlichen Beziehung und der Moral auseinander setzen. Christoph Martin Wieland sprach daher 1773 vom „Privat-Trauerspiel".

Im bürgerlichen Trauerspiel dominierten zunächst empfindsame Züge („empfindsames Trauerspiel"). Erst später kam mit dem Standeskonflikt als bestimmendem Handlungsmoment eine neue Dimension hinzu. Der Einfluss der Empfindsamkeit schlägt sich auch in der Definition des Wirkungsziels nieder: Das bürgerliche Trauerspiel wollte durch „Rührung" auf Gemüt und „Herz" zur moralischen Besserung beitragen. Absicht war mithin, die Fähigkeit zum „Mitleiden" zu aktivieren. Der Abkehr von den Regeln der Tragödie des französischen Klassizismus, an der sich etwa Johann Christoph Gottsched orientierte, und dem „unheroischen" Charakter des bürgerlichen Trauerspiels entsprach die Verwendung von Prosa anstelle des Alexandriners. Nach Johann Gottlob Benjamin Pfeil trug vor allem Gotthold Ephraim Lessing zur Theorie und Rechtfertigung des bürgerlichen Trauerspieles bei.

Mit Miß Sara Sampson begründete Lessing 1755 den Typus des empfindsamen bürgerlichen Trauerspieles in Deutschland: Zwei englische Stücke, George Lielos The London Merchant (1731, Der Kaufmann von London, 1752) und Edward Moores The Gamester (1753, Der Spieler, 1754), hatten den Erfolg der Gattung vorbereitet. Lessings Drama blieb für rund 20 Jahre vielfach nachgeahmtes Modell für Stücke, deren Handlung um Tugend und Laster kreiste und die mit dem Leiden des vollkommenen oder sich vervollkommnenden Charakters und der Reue der Widersacher (Väter, Rivalen, Rivalinnen usw.) für Rührung, Mitleid und empfindsame Tränenfluten sorgten. Mit Lessings Emilia Galotti (1772) löste ein anderer Typus des bürgerlichen Trauerspieles die empfindsame Variante ab: Bis zu Friedrich Schillers Kabale und Liebe (1784) wurde nun der meist durch Liebesbeziehungen ausgelöste Konflikt zwischen den Ständen zum charakterischen Thema. Insbesondere im Sturm und Drang erhielt das bürgerliche Trauerspiel einen dezidiert gesellschaftskritischen Impuls (so bei Heinrich Leopold Wagner und Jakob Michael Reinhold Lenz). Neben der Konfrontation von Adel und Bürgertum wurden auch Konflikte zwischen verschiedenen Schichten des Bürgertums thematisiert (z. B. in Wagners Die Reue nach der Tat, 1775). In der Folgezeit löste sich das bürgerliche Trauerspiel im trivialen Familiengemälde auf, bis mit den Tendenzdramen des Jungen Deutschland (Karl Gutzkow) eine kurze Neubelebung der Gattung eintrat. Den letzten Höhepunkt des bürgerlichen Trauerspiels bildete Friedrich Hebbels Maria Magdalene (1844): Hier wurde das Bürgerliche selbst, seine geistige und moralische Enge, zur Ursache des Tragischen. Als zur Jahrhundertmitte die Probleme des Bürgertums durch die soziale Frage verdrängt wurden, hatte sich das bürgerliche Trauerspiel überlebt.


Verfasst von:
Volker Meid

 

Burschenschaft

Burschenschaft, studentische Verbindungen. Der Begriff „Burschenschaft" kam Ende des 18. Jahrhunderts auf und war zunächst gleichbedeutend mit „Studentenschaft" allgemein.

Ab 1815 dann bezeichnete der Begriff die nicht mehr nach Landsmannschaften getrennten, sondern durch politische Ziele geeinten studentischen Verbindungen an den verschiedenen deutschen Universitäten. Die erste derartige Burschenschaft wurde am 12. Juni 1815 in Jena gegründet. Ihre Keimzelle waren die in den Befreiungskriegen (1812-1815) gegen Napoleon kämpfenden Freikorps, vor allem das Lützow’sche Freikorps, dem sie auch ihre „deutschen Farben" Schwarz-Rot-Gold verdankten. Beeinflusst von den Ideen u. a. Fichtes und Arndts forderten sie die nationale Einheit Deutschlands sowie demokratische Freiheiten und pflegten zugleich einen in der Verherrlichung des alten deutschen Kaisertums schwärmerischen Idealismus. Die Burschenschaften gewannen schnell an Anhängerschaft; am Wartburgfest am 18./19. Oktober 1817 nahmen Burschen von fast allen deutschen Hochschulen teil. Ein Jahr später, am 18. Oktober 1818, schlossen sich die Burschenschaften von 14 deutschen Universitäten zur Allgemeinen Deutschen Burschenschaft zusammen und legten in der Denkschrift Grundsätze und Beschlüsse des 18. Oktober ihr Programm nieder, in dem sie die Einheit Deutschlands, die Errichtung einer konstitutionellen Monarchie, die Rede- und Pressefreiheit und anderes mehr forderten. Angesichts der Restauration radikalisierten sich Teile der Burschenschaften; Karl Ludwig Sand, der dem radikaldemokratischen Flügel der Burschenschaft angehörte, ermordete 1819 den Schriftsteller August von Kotzebue. Das sich anschließende Verbot der Burschenschaften durch die Karlsbader Beschlüsse samt Unterdrückung aller fortschrittlichen Bestrebungen (Demagogenverfolgung) unterliefen die Burschenschaften durch konspirative Weiterarbeit. In der Folgezeit beteiligten sich aktive oder ehemalige Burschenschaftler in häufig führender Rolle an revolutionären bzw. liberalen und demokratischen Aktivitäten (Hambacher Fest 1832, Frankfurter Wachensturm 1833, Märzrevolution 1848, Frankfurter Nationalversammlung 1848/49).

Nach der Reichsgründung 1871 und mehreren Spaltungen entwickelten sich die Burschenschaften zu Farben tragenden, die Mensur schlagenden, nationalistischen und konservativen Studentenverbindungen. In der Weimarer Republik stärkten sie das Lager der rechten Republikfeinde, im Dritten Reich wurden sie im Zuge der Gleichschaltung aufgelöst. Seit 1949 pflegen in der Bundesrepublik Deutschland wieder aktive Verbindungen die in sich widersprüchlichen Traditionen.


Verfasst von:
Wieland Eschenhagen